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Political Correctness ist wie der Röstigraben – Imaginär und trotzdem real!

Political Corectness

Der Röstigraben und die politische Korrektheit: Unsichtbare, aber fühlbare Grenzen

Der Röstigraben ist eine unsichtbare, aber spürbare Grenze, die den kulturellen Unterschied zwischen der Deutsch- und Westschweiz beschreibt. Auch wenn er auf keiner Landkarte zu finden ist, prägt er das Selbstverständnis der Schweiz. Ähnlich verhält es sich mit der politischen Korrektheit – einem Konzept, das einerseits ein gesellschaftliches Konstrukt ist, andererseits aber tief in unseren Diskursen verankert bleibt. Doch was bedeutet es eigentlich, politisch korrekt zu sein, und warum wirkt es oft wie ein unüberwindbarer Graben?


Was bedeutet politische Korrektheit wirklich?

Politische Korrektheit beschreibt ursprünglich den Versuch, Sprache und Handlungen so zu gestalten, dass sie niemanden aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder anderen Merkmalen diskriminieren oder verletzen. Sie ist Ausdruck eines respektvollen Miteinanders und hat ihren Ursprung in den bürgerrechtlichen und feministischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Ziel war es, marginalisierte Gruppen sichtbar zu machen und ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.


Doch seit den 1990er Jahren hat sich die Wahrnehmung des Begriffs gewandelt. Vor allem in den USA wurde er von konservativen und neu-rechte Kreisen als Einschränkung der Meinungsfreiheit und als Form der Zensur kritisiert. Diese Kritik hat sich über die Jahre global verbreitet und prägt auch den Diskurs in Europa. Dabei wird oft übersehen, dass politische Korrektheit ursprünglich nicht als Verbot, sondern als Appell zu mehr Sensibilität gedacht war.


Politische Korrektheit als Machtinstrument?

Die kanadische Soziologin Dorothy E. Smith beschreibt in ihrem Buch Writing the Social: Critique, Theory, and Investigations (1999), dass politische Korrektheit auch als ideologischer Code verstanden werden kann, der reguliert, wie über Themen gesprochen wird. Dadurch beeinflusst sie, welche Meinungen als akzeptabel gelten und welche nicht. Einige Kritiker argumentieren, dass diese Regulierung offene Debatten unterdrücken und bestehende Machtstrukturen stärken könnte. Dies ist besonders dann problematisch, wenn bestimmte Themen nicht mehr sachlich diskutiert, sondern vorschnell als inakzeptabel abgestempelt werden.


Der französische Philosoph Alain Finkielkraut beschreibt in Die Niederlage des Denkens (1987) politische Korrektheit als eine Haltung, die dazu führt, "nicht sehen zu wollen, was zu sehen ist". Kritiker teilen diese Ansicht, indem sie behaupten, dass durch politische Korrektheit unliebsame Wahrheiten ausgeblendet und schwierige Debatten vermieden werden.


Doch diese Sichtweise greift zu kurz. Politische Korrektheit dient nicht nur als Werkzeug der Normierung, sondern auch als Mittel zur Schaffung einer inklusiveren Gesellschaft. Beispielsweise hat die konsequente Sprachsensibilisierung dazu beigetragen, diskriminierende Begriffe aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entfernen und ein Bewusstsein für die Wirkung von Sprache zu schaffen.


Der Röstigraben der Meinungen

Wie der Röstigraben ist auch politische Korrektheit ein unsichtbares Konstrukt mit spürbaren Auswirkungen. Sie trennt nicht nur Meinungen und Weltanschauungen, sondern prägt auch die Art, wie wir miteinander kommunizieren. Während die einen sie als unverzichtbaren moralischen Kompass betrachten, sehen andere darin ein starres Korsett, das freies Denken behindert.


Diese Spannungen erinnern an den kulturellen Graben in der Schweiz: Beide Seiten existieren nebeneinander, oft ohne wirklich miteinander in den Dialog zu treten. Doch gerade dieser Dialog wäre notwendig, um die Debatte um politische Korrektheit nicht als Kampfzone, sondern als Chance zu begreifen.


Gibt es eine politisch korrekte Haltung?

Hier wird es kompliziert. Denn eine universell gültige Definition von politischer Korrektheit gibt es nicht. Was in einem Kontext als respektvoll gilt, kann in einem anderen als Zensur wahrgenommen werden. Die Bedeutung von politischer Korrektheit ist daher immer auch eine Frage der Perspektive.


Ein sinnvoller Ansatz könnte sein, zwischen Meinungsfreiheit und gesellschaftlicher Verantwortung abzuwägen. Niemand wird daran gehindert, seine Meinung frei zu äußern – doch eine demokratische Gesellschaft lebt von einem respektvollen Miteinander. Politische Korrektheit kann helfen, diskriminierende Strukturen zu hinterfragen und ein inklusiveres Miteinander zu schaffen, ohne dabei Debatten zu unterdrücken.


Round-up: Imaginär und doch real

Politische Korrektheit und der Röstigraben sind beides unsichtbare, aber spürbare Konstrukte. Sie fordern uns heraus, uns mit Differenzen auseinanderzusetzen – seien es kulturelle oder ideologische. Während der Röstigraben ein Symbol für die Vielfalt innerhalb der Schweiz ist, zeigt die Debatte um politische Korrektheit die Herausforderungen einer globalisierten, diversen Gesellschaft.


Die Frage ist nicht, ob diese Konstrukte existieren, sondern wie wir mit ihnen umgehen. Werden sie zu Hindernissen, die uns trennen, oder zu Brücken, die uns verbinden? Die Antwort darauf liegt in unserer Fähigkeit, zuzuhören, zu hinterfragen und respektvoll miteinander umzugehen – auch und gerade dann, wenn wir uns in einem Graben gegenüberstehen.

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